Nächtlicher Ausflug in die Knechtschen Hallen

von Corinna Rieger

Ich schaute mich um, versuchte etwas zu erkennen, aber trotz des Lichtes meiner Taschenlampe war es ziemlich dunkel - und eigentlich trug es eher dazu bei, dass die Wände unheimliche Schatten zurückwarfen.
Ein kaputtes Fenster war mein Eingang in die Knechtschen Hallen von Elmshorn gewesen. Bislang war ich noch nie hier drinnen gewesen. Ich war höchstens mal an den Gebäuden vorbeigefahren, um mich in der Stadt mit Freunden zu treffen. Schon von außen hatten die Gebäude auf mich wie die Kulisse für einen alten Film gewirkt. Dass ich sie einmal betreten würde und dann noch im Dunkeln, war mir allerdings nie in den Sinn gekommen.

Ich dachte an mein Zimmer, mein weiches und vor allem warmes Bett, in dem ich jetzt liegen könnte. War es das wirklich wert? Aber dann erinnerte mich ein Handyklingeln an die SMS, die ich bekommen hatte, in der stand … Warte mal! Ein Handyklingeln? Ich zog mein Handy aus der Tasche meines Pullovers, doch es zeigte keinen Anruf an. Mit der Taschenlampe leuchtete ich den großen Raum ab, in dem ich stand. Ich lief ein paar Schritte in die Richtung, aus der das Klingeln kam,
und entdeckte ein Klapphandy auf einem alten Tisch. Sollte ich rangehen? Warum eigentlich nicht? Ich klappte das Handy auf und drückte auf den grünen Hörer, doch als ich das Handy ans Ohr hielt, hörte ich nur ein Tuten. Merkwürdig! Ich durchstöberte das Handy, um herauszufinden, wem es gehören könnte, doch ich fand nichts Hilfreiches. Als ich auf „SMS“ klickte, sah ich, dass es eine ungelesene
Nachricht gab. Ich öffnete sie.


„Geh von hier nach rechts in den nächsten Gebäudeabschnitt. In der Mitte der Halle steht eine Treppe. Steige auf dieser in den dritten Stock.“ Diese SMS schien für mich bestimmt zu sein. Sie musste von der Person kommen, die mir zuvor schon eine Nachricht gesendet hatte. Trotzdem fühlte es sich komisch an, eine SMS für mich auf einem fremden Handy zu bekommen. Vor allem musste
die Person gesehen haben, wann ich reingekommen war. Allein die Vorstellung, dass mich jemand beobachtete, war einfach zu gruselig! Trotzdem folgte ich der Anweisung aus der SMS. Das musste ich, sonst würde ich meine Neugierde nie stillen können.

Als ich vor zwei Tagen eine anonyme Nachricht bekommen hatte, in der stand, dass ich in dieser Nacht in die Knechtschen Hallen kommen sollte, weil ansonsten jemand ganz unglücklich werden würde, hatte ich kaum gezögert, dies zu tun. Ich hatte niemandem davon erzählt; nicht meiner besten Freundin, nicht meinem festen Freund und erst recht nicht meinen Eltern. Da ich keine Feinde hatte, hatte ich auch keine Angst. Was sollte mir schon passieren? Und außerdem war so ein kleiner Nachtausflug mal ein bisschen Abwechslung in meinem sonst so langweiligen Leben! Jetzt hatte ich allerdings schon ein bisschen Angst. Trotzdem ging ich die Treppe im nächsten Gebäudeabschnitt hinauf. Die Stufen knarzten, doch sie hielten stand.
Sowohl im ersten als auch im zweiten Stock war es dunkel; als ich aber den dritten Stock erreichte, standen plötzlich Kerzen am Treppenabsatz. War ich zum Treffpunkt einer Sekte gelangt? Ich konnte mir das gut vorstellen… In so einem alten, leeren Gebäude, nachts… In der Schule hatte es bereits das Gerücht gegeben, dass hier
eine Sekte von Zeit zu Zeit Treffen abhielt. Aber wieso wollten sie mich? Das würde ich bestimmt gleich erfahren. Wobei, eigentlich wollte ich gar keiner Sekte beitreten.
Sollte ich wieder gehen? Nein, gehen konnte ich jetzt nicht! Ich wollte mich nicht umsonst aus meinem Zimmer geschlichen haben! Vorsichtig betrat ich den dritten Stock. Aus Kerzen war ein Weg gebildet. Ich folgte ihm. Vorsichtig setze ich einen Fuß vor den anderen. In einer Ecke, zu der der Weg der Kerzen führte, konnte ich den Schatten einer einzelnen Person erkennen. Okay, eine einzelne Person konnte
ich vielleicht noch erledigen, wenn es ernst werden würde. Ich ging auf die Person zu und versuchte dabei, selbstbewusst auszusehen. Nur noch wenige Schritte trennten mich von meinem Gegenüber, als die Person plötzlich vortrat. Da erkannte ich ihn…
Verwundert blickte ich in das Gesicht meines Freundes. Er begrüßte mich und wünschte mir alles Gute zu unserem Jahrestag. Dem Jahrestag, den ich total vergessen hatte! Er erklärte mir, dass er sich für diesen besonderen Tag etwas Besonderes hatte ausdenken wollen, und da ich so auf spannende Romane stand, war ihm diese Idee gekommen. Er hatte es so spannend wie möglich gestalten
wollen. Das war ihm gelungen!
Er hatte ein ganzes Dinner geplant und es wurde ein toller Abend. Seit diesem Tag gehören die Knechtschen Hallen zu meinen Lieblingsplätzen in Elmshorn.

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